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Image- und Qualitätsproblem: Niemand mag TechCrunch

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Für viele internationale Beobachter gilt TechCrunch als erste Anlaufstelle für Neuigkeiten aus der Internetbranche. Doch besonders in seiner Heimat Kalifornien leidet das zu AOL gehörende Blog unter einem erheblichen Imageproblem.

TechCrunchEigentlich lasse ich es hier in San Francisco relativ ruhig angehen und versuche in erster Linie, die allgemeine Stimmung einzufangen. Immerhin gilt es, meine täglichen Arbeitsaufgaben zu erledigen. Zudem wird die hiesige Internetbranche von nationalen und internationalen Medien derartig intensiv bewacht, dass es wenig sinnvoll ist, bei den einschlägigen Startups und Webgiganten vorstellig zu werden, um dann von ihren PR-Abteilungen zu erfahren, was alle schon wissen. Gerne hätte ich allerdings ein Interview mit Jan Koum geführt. Doch der Chef des populären Smartphone-Messengers WhatsApp macht seinem Ruf, pressescheu zu sein, alle Ehre. Meine Interviewanfragen blieben unbeantwortet. Ohnehin hat er in den letzten Jahren meines Wissens nach Pressevertretern kaum mehr als fünf Audienzen gegeben, insofern bin ich nicht überrascht.

Anstelle von “offiziellen” Besuchen bei Webfirmen habe ich aber eine Reihe von interessanten, eher informellen Gesprächen mit lokalen Akteuren und Entrepreneuren geführt – sowohl deutschstämmige, die sich in der Region niedergelassen haben, als auch Einheimische. Jedes Mal, wenn es ans Erklären ging, was netzwertig.com darstellt, antwortete ich aus Bequemlichkeitsgründen und im Wissen der allgemeinen Bekanntheit von TechCrunch, dass es sich um eine Art deutsches TechCrunch handele, nur mit einer deutlich geringeren Artikelanzahl und weniger Fokus auf Meldungen zu Finanzierungsrunden. Doch ausnahmslos folgte vom jeweiligen Gesprächspartner daraufhin ein abwertender Kommentar über das bekannte kalifornische Techblog.

Allgegenwärtige Kritik an TechCrunch

In San Francisco und Umgebung, so scheint es, mag niemand (mehr) TechCrunch. Freilich gehen meine Erlebnisse über den Status persönlicher Anekdoten nicht hinaus, und unter den 13 Millionen eindeutigen Besuchern pro Monat werden durchaus einige sein, die den Berichten des 2005 von Michael Arrington gegründeten, mittlerweile zu AOL gehörenden Silicon-Valley-Medienangebots viel Positives abgewinnen können. Doch bei den Personen, die sich selbst nahe am Geschehen der kalifornischen Webbranche befinden oder ihren Teil zu deren Weiterentwicklung beitragen, ist ganz klar eine verbreitete Aversion gegen das Blog zu beobachten.

Keine Trafficmaschine

Zu den Kritikpunkten, die ich dabei mehrfach zu hören bekam, gehört unter anderem die vergleichsweise geringe Fähigkeit von TechCrunch-Artikeln, signifikanten Traffic zu den redaktionell erwähnten Websites und Apps zu senden. Eine Aussage, die ich zuvor auch von Gründern in Europa schon vernehmen konnte. Anders als die Bekanntheit und Reichweite des von AOL für 25 Millionen Dollar übernommenen Techblogs suggeriert, folgt auf einen Review bei TechCrunch für Startups zumeist kein massiver Besucheransturm. Ganz im Gegenteil etwa zu Lifehacker, das mir gegenüber schon mehrfach als Trafficmaschine beschrieben wurde. Wappwolf-Gründer Michael Eisler stellte den Effekt beider Sites kürzlich pointiert gegenüber: “Der Lifehacker-Artikel liefert nach einem Jahr immer noch Traffic auf die Seite und für uns waren fünf Lifehacker-Artikel mehr wert als 100 der anderen Erwähnungen, insbesondere Techcrunch”.

Über die Gründe für diese unterschiedliche Wirkung von TechCrunch- und Lifehacker-Berichten aus Sicht von Onlinediensten kann man mutmaßen. Stark verallgemeinert ist mein Eindruck, dass sich die TechCrunch-Leserschaft besonders aus Investoren, Angestellten, Journalisten und Marketing- sowie Kommunikationsprofis zusammensetzt, die in erster Linie aus beruflichem Interesse mitlesen, wogegen Lifehacker als Gegenbeispiel leidenschaftliche Produktivitäts- und Tech-Geeks versammelt, für die es zumindest partiell auch ein Hobby ist, ihren digitalen Alltag zu optimieren und zu bereichern. Dass diese Zielgruppe deutlich eher bereit ist, präsentierte Services und Apps sofort auszuprobieren, als es bei TechCrunchs Besuchern der Fall ist, verwundert nicht. Beide Sites bedienen eine unterschiedliche Nachfrage. Geht es jungen Diensten jedoch darum, mit einem Beitrag bei den Endnutzern auf sich aufmerksam zu machen, ist TechCrunch nach dem Bekunden vieler Startup-Macher weit weniger relevant als es nach außen den Anschein macht.

Da verwundert es auch nicht, dass App.net-Macher Dalton Caldwell mir auf meine Frage, wieso es relativ wenig Berichte über den Twitter-Kontrahenten bei Reichweitenblogs gibt, erwiderte, dass diese weit weniger Effekt besitzen als Nennungen des Dienstens bei “kleinen”, mit loyaler Gefolgschaft gesegneten persönlichen Blogs.

Zu geringe Selektion und zu hohe Postingfrequenz

Mehr als einmal bekam ich auch Klagen darüber zu hören, dass bei TechCrunch im Prinzip kaum oder nur wenig selektiert wird. Letztlich könne jede noch so irrelevante Meldung bei der Site platziert werden, sofern sich die Absender mit ihrem Pitch nicht allzu dumm anstellen, so der Tenor. 70 und mehr pro Werktag veröffentlichte Beiträge lassen erahnen, dass Quantität, nicht Qualität im Zentrum der redaktionellen Bemühungen steht.

Anmerken möchte ich an dieser Stelle, dass es bei TechCrunch durchaus auch lesenswerte Beiträge gibt. Nur muss man diese in der Fülle der mehr oder weniger wichtigen Meldungen suchen. Würde ich nicht beruflich über den Technologie- und Internetsektor schreiben, hätte ich den TechCrunch-Feed vermutlich aufgrund der massiven Postingfrequenz aus dem RSS-Reader geworfen. Doch noch immer gelingt es dem Team um die Chefredakteure Eric Eldon und Alexia Tsotsis, gelegentliche Exklusivstories und den ein oder anderen inspirierende, die Gedanken anregenden Text zu publizieren, den ich mir im Sinne eines bestmöglichen Überblicks nicht entgehen lassen möchte.

Insofern verstehe ich die Klagen über TechCrunch, schließe mich den kategorischen Kritikern aber nicht in allen Belangen an. Diese finden sich übrigens auch auf dieser Seite des Atlantiks. Branchenbeobachter wie Marcel Weiss oder Carsten Pötter machen aus ihrer Abneigung gegenüber dem AOL-Techblog keinen Hehl und bevorzugen generell eher kleinere, tiefer in die Materie einsteigende und weniger von PR-Meldungen und journalistischem Junk Food getriebene Blogs. Ihnen gegenüber stehen allerdings hunderte deutsche und internationale Blogger und Journalisten mit zu erfüllenden Textquoten, die dankbar dafür sind, von TechCrunch und anderen nach dem Fließband-Prinzip arbeitenden Medien regelmäßig Themenideen und Artikelvorlagen serviert zu bekommen. Und zumindest ab und an sind diese eben doch lesenswert und informativ.

Für viele Journalisten noch immer eine Institution

Deshalb sollten sich Gründer von Startups nicht zu sehr von den üblichen Beschwerden ihrer Kollegen sowie von den geringen Signup- oder Konversionsrate abschrecken lassen, die ein Beitrag bei TechCrunch mit sich bringt. Selbst wenn nur ein paar Dutzend User direkt durch einen Artikel bei dem Blog ihren Weg zu einer neuen App finden, könnte der mitunter folgende Rattenschwanz an Berichten bei allerlei internationalen Medien und Blogs trotzdem sehr positive Auswirkungen auf die Metriken haben. Solange die schreibende Zunft rund um den Globus TechCrunch als Institution wahrnimmt, ist es für die Pressearbeit von Webfirmen eine attraktive Adresse. Wie schlecht jedoch das Ansehen von TechCrunch in seiner Heimat bei Vertretern der Internetwirtschaft ist, sollte die Macher wirklich zum Nachdenken anregen. Die immer merkwürdigere Ausmaße annehmende Verflechtung von redaktionellen und finanziellen Interessen durch Investorentätigkeiten von Schüsselpersonen aus dem TechCrunch-Umfeld ist da genau das Gegenteil von dem, was das einstige Vorzeigemedium des Silicon Valleys jetzt benötigt.

Ich für meinen Teil muss mir wohl eine andere Beschreibung dafür einfallen lassen, wie ich netzwertig.com gegenüber nicht des Deutschen mächtigen Personen vorstelle. /mw


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